Wie entwickeln sich Risiken im Forderungsbestand und wie kann ein gutes Risikomanagement Forderungsausfälle vermindern?
Hamburg, 12.09.2022 – Die Herausforderungen für Unternehmen und Unternehmer sind vielfältig. Einige der Herausforderungen haben wiederum wechselseitige Auswirkungen, die Komplexität wächst stetig. Risikomanager haben derzeit alle Hände voll zu tun. Welche Themen sind jetzt besonders zu beachten? Nachstehend vertiefen wir ausgewählte Themen und geben Anregungen zu möglichen Handlungsweisen.
Erste Warnungen gab es bereits in den 1970er-Jahren, in den 2000er-Jahren gab Angela Merkel beim Gipfel in Heiligendamm die Klima-Kanzlerin. In der Rückschau muss man feststellen, dass die Fragestellungen dennoch lange Zeit eher ein Randthema blieben, echte Fortschritte waren überschaubar. Das Thema ist bis heute umstritten, viele halten die Entwicklung jetzt jedoch für sicht- und greifbar, und Handlungsdruck und -wille steigen.
Die Fragestellung des Klimawandels ist zwischenzeitlich erweitert um Fragen zur sozialen Verantwortung und Nachhaltigkeit. "ESG" ist beispielsweise bei Fragestellungen zu Versicherung und Finanzierung von zunehmender Bedeutung.
Firmen müssen sich darauf einstellen, Produktportfolio und Lieferkette zu überprüfen und eventuell notwendige Anpassungen vorzunehmen. Perspektivisch kann eine fehlende Anpassung beispielsweise dazu führen, dass die Finanzierung erschwert oder unmöglich wird.
Das iPhone wurde 2007 vorgestellt, mit den Smartphones hat die Digitalisierung insbesondere im B2C-Geschäft erheblich an Relevanz gewonnen. Die Digitalisierung bedeutet Chancen und Herausforderungen für Unternehmen. Langjährig erfolgreiche Geschäftsmodelle werden angegriffen, neue Geschäftsmodelle entstehen. Beispielhaft sind der zunehmende Trend zum Onlinehandel oder der Trend zum (Car-)Sharing. Vermutlich sind wir hier, speziell im Bereich B2B, immer noch ganz am Anfang. Unternehmen stehen oft vor der Frage, ob sie investieren und sich neu erfinden wollen oder nicht. Vielleicht ist es sogar notwendig, sich selbst zu kannibalisieren? Keine leichte Entscheidung. Die Insolvenz verschiedener bundesweit tätiger Mode-Einzelhändler, die – vereinfacht gesagt – Zalando und Amazon unterlegen waren, ist hier vermutlich erst der Anfang gewesen.
Spätestens seit dem Mauerfall standen die Ampeln für die Globalisierung auf Dauergrün. Osterweiterung, China, BRIC-Staaten. Die Perspektive für deutsche Unternehmen war hervorragend, "Made in Germany" weltweit gesucht. Der Siegeszug des Automobils (zeitgemäß mit Verbrennungsmotor) gab zusätzlichen Rückenwind: 2007 wurden global 50 Millionen PKW produziert, 2019 waren es etwa 100 Millionen. Wunderbar!
Der Einmarsch in die Ukraine 2014 führte zu Sanktionen des Westens gegen Russland. Nach der Wahl von Donald Trump 2016 waren zunehmende Spannungen zwischen den USA und China zu beobachten, die in Handelsbeschränkungen mündeten. Der Brexit sei nur der Vollständigkeit halber ebenfalls erwähnt.
Drei Beispiele für erste Hemmnisse des Fortschreitens der Globalisierung, teilweise auch Rückschritte. Je nach regionaler Ausrichtung müssen sich Unternehmen darauf einstellen, Produktportfolio und Lieferkette zu überprüfen und eventuell notwendige Anpassungen vorzunehmen.
Der Ausbruch der Corona-Pandemie im ersten Quartal 2020 war zweifellos ein tiefer Einschnitt. Auswirkungen des globalen Lockdowns waren unter anderem der Stillstand vieler konsumnaher Geschäftsmodelle (teilw. Einzelhandel, Reisebüros, Restaurants etc.) und die Unterbrechung von Lieferketten, beispielsweise bei (Vor-)Produkten aus China.
Selbstverständlich gab es auch Gewinner in der Krise, beispielhaft sind Amazon und Netflix zu nennen. Zwei Anbieter, die im Kontext Digitalisierung und neue Geschäftsmodelle vorangetrieben haben. Die Annahme, dass Trends, die bereits zuvor vorhanden waren, in der Corona-Krise noch verstärkt wurden, wurde verschiedentlich diskutiert. Anders gesagt: Stärken und Schwächen von Geschäftsmodellen wurden wie unter einer Lupe schneller sichtbar.
Um Unternehmen und Bevölkerung zu unterstützen, haben viele Länder erhebliche Hilfsprogramme verabschiedet. Das Hilfsprogramm in Deutschland wird überwiegend als positiv eingeschätzt, eine sehr negative Auswirkung auf die deutsche Wirtschaft konnte vermieden werden. Bemerkenswert ist, dass die Anzahl an Insolvenzen entgegen den ursprünglichen Erwartungen nicht gestiegen, sondern sogar auf ein historisches Tief (seit der Wiedervereinigung 1990) gesunken ist. In den letzten Jahren machte allerdings zunehmend der Begriff der Zombie-Unternehmen die Runde: Unternehmen, die aufgrund günstiger Zinsen und einfach verfügbarer Liquidität von Banken und Investoren am Markt sind, obwohl die Verschuldung (zu) hoch und die Rentabilität (zu) gering ist.
Während die Lieferketten schon durch die Corona-Krise belastet waren, bedeutete die mehrtägige Verstopfung des Suez-Kanals durch das Containerschiff Evergiven zusätzlichen Stress für die globalen Lieferketten. Hunderte von Schiffen stauten sich zunächst auf jeder Seite des Kanals und später entlang der globalen Schifffahrtslinien vor den Häfen – dies hält zum Teil bis heute an. Nachdem die internationale Schifffahrt mehr als ein Jahrzehnt unter Überkapazitäten litt, sind Transportkapazitäten heute rar und teuer. Die Kosten am Spotmarkt haben sich eine Zeitlang verzehnfacht, die Transportzeiten haben sich teilweise deutlich erhöht. Manche Unternehmen sind auf Luftfracht ausgewichen, was wiederum eine weitere, deutliche Kostensteigerung mit sich brachte.
Fehlen Vorprodukte, kommt es eventuell nicht zur Auslieferung. Umsatz verschiebt sich oder entfällt ganz, weil beispielsweise Saisonware nicht rechtzeitig verfügbar ist. Deutlich verteuerte und/oder zunehmend instabile Lieferketten könnten eventuell zu einem Umdenken im Einkauf und im Produktportfolio führen.
Anfang der 2000er-Jahre, als die Globalisierung zunehmend Fahrt aufnahm, schienen Rohstoffe unbegrenzt verfügbar, und die Transportkosten waren faktisch zu vernachlässigen. Global Sourcing und Just-in-time-Belieferung waren wichtige Schlagworte.
Handelsbeschränkungen und die Auswirkungen der Corona-Krise sowie die Verfügbarkeit von Transportkapazitäten und die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs mit den damit verbundenen Sanktionen haben teilweise zu einem vollständig anderen Bild geführt. In den Bereichen Stahl, Chemie und Baustoffe sind zum Teil erhebliche Preissteigerungen und eine (stark) eingeschränkte Verfügbarkeit zu beobachten. Letzteres führte wiederum zu Hamsterkäufen, was den Trend noch verstärkte. Die Entwicklung im Bereich Gas, Strom und Öl hinsichtlich des Preises und der Verfügbarkeit ist allgegenwärtig, eine Prognose nahezu unmöglich.
Politisches Risiko ist tatsächlich versicherbar, führte aber jahrelang ein Schattendasein. Die Welt wuchs zunehmend zusammen, welches politische Risiko sollte drohen?
Als bei Ausbruch des Ukraine-Kriegs Sanktionen verhängt wurden und russische Unternehmen trotz Solvenz Rechnungen nicht bezahlen konnten, wurde das bislang eher theoretisch betrachtete politische Risiko sehr praxisrelevant. Tatsächlich haben viele Versicherer es jetzt für die Krisenregion Russland, Ukraine, Belarus ausgeschlossen. Eine Prognose für künftige Krisenherde erscheint ebenfalls nahezu unmöglich.
Jahrelang war das Zinsniveau gering. Liquidität stand im Überfluss zur Verfügung. Viele Unternehmen und Staaten haben erheblich von den niedrigen Zinsen profitiert, Deutschland sogar Einnahmen aufgrund negativer Zinsen generiert. Einem Aufatmen der Banken, deren Geschäftsmodell bei steigenden Zinsen an Attraktivität gewinnt, steht ein Risiko für Unternehmen und Staaten mit vergleichsweise hoher Verschuldung gegenüber. Dies vor allem, weil steigende Zinsen nicht wie üblich bei einer sehr positiven Konjunkturentwicklung erfolgen, sondern zu einem Zeitpunkt, wo viele Unternehmen ohnehin im Stress sind. Insbesondere für Firmen mit hoher Verschuldung und unterdurchschnittlicher Ertragskraft, im Fachjargon teilweise Zombie-Unternehmen genannt, kann der Effekt erheblich sein und schnell zu einer deutlichen Verschlechterung der Bonität führen.
Das Thema Energiekosten ist auch für Privatpersonen von erheblicher Bedeutung. Allen Hilfspaketen zum Trotz ist von negativen Auswirkungen auf das Konsumklima und den privaten Konsum auszugehen. Im Ergebnis wirkt sich dies wiederum auf die Geschäftsmodelle von Unternehmen im konsumnahen Bereich aus. Der deutliche Rückgang im Verkauf von Spargel und Erdbeeren in diesem Frühjahr und Sommer dürfte hier nur der Anfang gewesen sein ...
Während der Fachkräftemangel schon länger zu beobachten war, ist zunehmend ein Arbeitskräftemangel zu beobachten. Beispielhaft sind Restaurants, Hotels, Einzelhandel. Faktisch berichtet nahezu jedes Unternehmen von Schwierigkeiten, Stellen zu besetzen. Eine Auswirkung der Corona-Krise war eine oftmals gesunkene Bindung der Mitarbeiter zum Arbeitgeber. Die Fluktuation steigt, Nachbesetzungen sind nicht einfach und häufig teurer, was sich wiederum auf die Kosten auswirkt.
Globalisierung und Digitalisierung sind auch Megatrends im Bereich Wirtschaftskriminalität. Betrügerische Zahlungsanweisungen ("Fake President") sowie manipulierter Mailverkehr mit dem Ziel, Kontodaten für Zahlungsanweisungen an Lieferanten zu ändern ("Man in the middle") sind zunehmend zu beobachten. Die Betrüger treten global auf und arbeiten zum Teil in arbeitsteiligen Prozessen: Identifikation von Angriffszielen durch eine Partei, Angriff durch eine zweite und Erpressung bzw. Abwicklung der Zahlung durch eine dritte. Bemerkenswert ist die hohe Professionalität, mit der vorgegangen wird, sodass der Betrugsversuch leider häufig zum Erfolg führt.
Die Herausforderungen für Unternehmen und Unternehmer sind vielfältig. Die gute Nachricht ist, dass viele Unternehmen sich seit Jahrzehnten erfolgreich im Markt bewegen und gewohnt sind, Herausforderungen zu meistern. Tatsächlich berichten viele Unternehmen aktuell einen sehr zufriedenstellenden Geschäftsverlauf, teilweise sogar Rekordergebnisse. Die Verschuldung deutscher Unternehmen ist zudem seit Beginn der 2000er-Jahre deutlich gesunken, die Widerstandskraft gestiegen. Die Ausgangssituation, sich den Herausforderungen zu stellen, ist insofern positiv.
1. Hope for the best – prepare for the worst
Die Herausforderungen sind vielfältig, und es ist wichtig, die eigene Risikosituation regelmäßig realistisch zu überprüfen. Welche der aktuellen Herausforderungen betreffen das eigene Geschäftsmodell? Besteht Handlungsbedarf? Welche Alternativen gibt es?
Viele Unternehmen berichten, dass sie aus verständlichen Gründen auf Sicht fahren. Das ist nachvollziehbar. Zusätzlich ist es wichtig, vorausschauend zu planen und in Szenarien zu denken. Wie entwickeln sich Umsatz, Ertrag und Liquidität bestenfalls und schlimmstenfalls? Ist der Fortbestand des Unternehmens im ungünstigen Fall gesichert? Hier ist insbesondere ein Blick auf die Liquidität wichtig.
Es erscheint auch empfehlenswert, etablierte Glaubenssätze zu überprüfen. Gilt die Aussage "wir kennen unsere Kunden, und die haben bisher immer pünktlich gezahlt" noch aktuell? Wie ist es mit der Beziehung zu (wichtigen) Lieferanten bestellt? Wir empfehlen, Risiken zu quantifizieren und wo möglich zu begrenzen.
2. Cash is king
Illiquidität ist der mit Abstand häufigste Insolvenzgrund in Deutschland. Im aktuellen Umfeld kann es zu Auswirkungen auf die Liquidität kommen:
Sind für die Kreditlinien mit Banken Covenants vereinbart, kann ein Bruch der Covenants zu Kündigung/Kürzung der Kreditlinien führen, was ebenfalls die Liquidität belasten kann.
Wir empfehlen, Liquidität mittelfristig zu planen und ausreichend Puffer vorzuhalten. Um einen Puffer aufzubauen, kann es empfehlenswert sein, die Liquiditätsversorgung frühzeitig zu diversifizieren, das heißt, neben Bankkrediten auch Factoring in Erwägung zu ziehen und bei Bedarf an Bürgschaften auch Beziehungen zu Kautionsversicherern aufzubauen und so die Banklinien zu entlasten.
3. Never put your eggs in only one basket
Die Situation der Gasversorgung aus Russland ist ein gutes Beispiel: Eine zu hohe Abhängigkeit kann existenzbedrohend sein. Wir empfehlen, Abhängigkeiten in der Lieferkette, in der Kundschaft, in der Finanzierung etc. laufend zu überprüfen und sich bei Bedarf breiter aufzustellen.
Bei der Beurteilung der Geschäftspartner (Kunden, Lieferanten, Dienstleister) empfehlen wir, neben Aspekten wie Sanktionen auch die Bonität mittels Zusammenarbeit mit Auskunfteien oder Warenkreditversicherern laufend zu analysieren.
Unter anderem vorstehende Inhalte haben Björn Albert und Robert Brixius auch in unserem Webinar am 21.09.2022 erläutert. Die Präsentation aus dem Webinar finden Sie hier.
Die Gossler, Gobert & Wolters Gruppe (GGW Gruppe) ist einer der großen unabhängigen und inhabergeführten Industrieversicherungsmakler in Deutschland. Als Experte für integriertes Risiko- und Versicherungsmanagement betreuen die rund 290 Mitarbeiter der GGW Gruppe mittelständische Unternehmen aus Industrie, Handel, Gewerbe sowie den rechts- und wirtschaftsberatenden Berufen. Deutschlandweit ist das Beratungshaus an neun Standorten vertreten und berät in Zusammenarbeit mit internationalen Netzwerken Kunden in über 60 Ländern.
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